German review of Berlin , Oct.25th

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johnfoyle
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German review of Berlin , Oct.25th

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From Der Taggespiegel , Oct.27th


http://www.tagesspiegel.de/kultur/index ... 32.asp#art


Ich will dich
Neue Liebe, neuer Sound: Elvis Costellos grandioses
Konzert in der Berliner Universität der Künste

Von Christian Schröder

Kurz vor Schluss, nach fast drei Stunden und rund
dreißig Songs, singt er „I Want You“. Elvis Costello
steht direkt unter einem Scheinwerfer, der ihn in
schwefelgelbes Licht taucht, seine Stimme vibriert vor
Sehnsucht: „Oh my baby I want you so it scares me to
death / I can’t say anymore than ,I love you’ /
Everything else is a waste of breath / I want you.“ „I
Want You“, das Costello 1986 für sein Album „Blood And
Chocolate“ geschrieben hat, gehört zu den großen
Liebesliedern des 20. Jahrhunderts. Es ist das Lied
eines Mannes, der über mehr als 50 Zeilen seine
Gefühle zu beschreiben versucht und dabei immer wieder
dasselbe stammelt: Ich will dich. Michael Winterbottom
hat einen seiner besten Filme nach diesem Song
benannt. Costello schrammt über die Saiten seiner
Gitarre, aus dem Flügel hinter ihm tröpfeln ein paar
Töne. Nichts lenkt ab von dem Text und dieser Stimme,
die wispert und faucht, jubelt und gellt. So wie an
diesem Abend im ausverkauften Konzertsaal der Berliner
Universität der Künste hat man „I Want You“ noch nicht
gehört: als intimes Bekenntnis, das direkt aus der
Seele des Sängers zu kommen scheint.

Elvis Costello ist wieder verliebt. Für die
Jazz-Sängerin Diana Krall hat er seine Frau Cait
O’Riordan, die ehemalige Bassistin der Folkpunkband
The Pogues, verlassen, mit der er 16 Jahre zusammen
war. Lebenskrisen scheinen für Musiker inspirierend zu
sein, das war schon bei Frank Sinatra so, der sein
Meisterwerk „In The Wee Small Hours“ aufnahm, als
seine Ehe mit Ava Gardner geplatzt war. Costellos
neues Album heißt „North“ (Deutsche
Grammophon/Universal), in seiner von Streichern und
Bläsern getragenen Balladenhaftigkeit erinnert es
durchaus an Sinatra. Doch wo Sinatra sich ganz dem
Schmerz und dem Selbstmitleid hingab, da siegt bei
Costello die Zuversicht. Die erste Hälfte von „North“
handelt von dem Ende einer alten, die zweite vom
Beginn einer neuen Liebe. „You left me standing alone
/ Although I thougt that we could not be parted“,
singt Costello vorwurfsvoll im Eröffungsstück „You
Left Me In The Dark“ zu perlenden Geigen und
zischelnden Becken: Du hast mich allein gelassen, und
ich dachte wir würden uns niemals trennen.

Metamorphosen eines Punkers



Ein paar Songs später beschwört er in „Can You Be
True?“ ein Glück, das er noch gar nicht fassen kann:
„I long to hold you all through the night / And tell
you ,my darling, you make everything seem right’ / And
then I’ll hear you calling my name / And I’ll answer
,My darling, I may be your man.“ Ich möchte dein Mann
sein: Costellos schlichteste und schönste
Liebeserklärung seit „I Want You“. Elvis Costello, der
vor 49 Jahren unter dem bürgerlichen Namen Declan
McManus in London geboren wurde und in Liverpool
aufwuchs, ist ein Verwandlungskünstler. Auf
musikalische Moden hat er nie viel gegeben, als
Songwriter ist er längst in seiner eigenen Liga
angekommen. Die ersten Platten, die er vor einem
Vierteljahrhundert mit seiner Band „The Attractions“
veröffentlichte, waren noch vom Zorn des Punk
befeuert, doch schon bald wurden seine Arrangements
immer ausgefeilter. Costello arbeitete mit dem
Jazzgitarristen Bill Frisell, der Mezzosopranistin
Anne Sofie von Otter, dem Brodsky Quartet und dem
Easy-Listening-Veteranen Burt Bacharach zusammen. Als
er im letzten Jahr das Album „When I Was Cruel“
herausbrachte, auf dem er laut wie lange nicht
drauflosrockte, schien er zu seinen Wurzeln
zurückzukehren. Während der anschließenden Tournee
schrieb er die zerbrechlich wirkenden Balladen, die
auf „North“ versammelt sind. Mit Pop im herkömmlichen
Sinn hat Costellos Musik nicht mehr viel zu tun,
konsequenterweise erscheint seine neue Platte nun mit
der Deutschen Grammophon bei einem Klassik-Label.

Das Konzert in der Universität der Künste wird zum
Triumph des Minimalismus. Mitgebracht hat Costello
bloß eine akustische und eine halbakustische Gitarre
sowie Steve Nieve, seinen Keyboarder seit den Tagen
der Attractions, der ihn auf einem Flügel begleitet.
Auf „Accidents Will Happen“ aus Costellos drittem
Album „Armed Forces“ (1979) folgt die wunderbare
Soulrockhymne „45“ aus „When I Was Cruel“, die die
Erinnerung an das Kriegsende mit einem Lobgesang auf
die Vinylschallplatte verwebt. „This House Is Empty
Now“, das Costello mit Burt Bacharach für das
gemeinsame Album „Painted From Memory“ (1998) schrieb,
gerät zum ersten Höhepunkt des Abends. Beschwörend
hebt der Sänger den Arm, er tritt ganz nah an die
Rampe und schmachtet mit sehr viel Vibrato: „This
house is empty now / There’s no one living here / You
have to care about / This house is empty now / There’s
nothing I can do / To make you want to stay“. Eine
berückende Ballade vom Ende einer Beziehung,
stilistisch sehr nah am Kammerpop von „North“.
Costello kann es sich leisten, das Mikrofon zu
verlassen und unverstärkt weiterzusingen: Die Zuhörer
hängen wie gebannt an seinen Lippen, nach dem letzten
Akkkord brechen sie in Jubel aus.



Triumph des Minimalismus



Die Stücke aus dem neuen Album bilden den Mittelteil
des Abends: „You Left Me In The Dark“, „Someone Took
The Words Away“, „When Did I Stop Dreaming?“,
„Fallen“. Doch wo auf der Platte Jazz-Großmeister Lee
Konitz in sein Saxofon bläst, der Schlagzeuger Peter
Erskine den Takt beschleunigt und die Geigen des
Brodsky Quartets schwelgen, werden die Songs live bis
auf ihr Knochengerüst freigelegt. Nieves Klavierspiel
ist äußerst sparsam, Costello verzichtet bei den
meisten Stücken auf die Gitarre und verlässt sich ganz
auf die Kraft seiner strahlenden Stimme. Als Sänger
wurde er lange unterschätzt, jetzt steckt er lässig
eine Hand in die Hosentasche, nimmt mit der anderen
Hand das Mikrofon und spaziert wie ein klassischer
Crooner über die Bühne. Bei „Shipbuilding“, dem Song,
den er 1983 gegen den Falklandkrieg schrieb,
streichelt er sanft über die Saiten seiner Gitarre,
aus dem Klavier perlen ein paar Läufe, und mit halb
geschlossenen Augen singt Costello den Refrain. Ein
Bild der Entrückung an einem großen Konzertabend.
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